Die Realbrandausbildung in Christnach und die Erkenntnisse eines Instruktors (2003)

Schriftstücke

     
 

Im Frühjahr des Jahres 2002 hatten die Wehren unseres Kantons die Gelegenheit in den Gebäuden des kommunalen Bauhofs der Stadt Echternach realitätsnah zu üben. So konnte aus Sicht des Instruktors eine Standortbestimmung vorgenommen werden anhand derer der Bedarf anspezifischer Ausbildung im Bereich Atemschutz / Innenangriff zutage trat.

Es galt also geeignete Wege zu beschreiten um Mängel an Routine, Erfahrung und der Fähigkeit zur Risikoeinschätzung beim Vorgehen gegen Brände in geschlossenen Räumen abzubauen. Diese Art des Einsatzes ist die meiner Meinung nach anspruchvollste Aufgabe im Bereich der kommunalen Feuerwehren in Friedenszeiten.

Die Notwendigkeit einer solchen spezifischen Ausbildung traf günstigerweise auf eine hohe Teilnahmebereitschaft. Ein Problem bestand in der doch sehr dürftigen Literatur zum Thema Innenangriff. Die Problematik der Rauchgase hat wohl Eingang in die Forschung gefunden und wird auch auf technisch-taktisch höchstem Niveau diskutiert, ist jedoch noch nicht zur breiten Masse der kontinentaleuropäischen Feuerwehren vorgedrungen. Dies mag zum Teil daran liegen, dass Forschung und Diskussion ihren Ausgang in Skandinavien bzw. dem anglophonen Teil der Welt genommen haben. Dies bedeutete konkret, dass ich mich durch eine grosse Menge englischer Fachliteratur kämpfen musste um didaktisches Material zu sammeln welches den Aufbau von Ausbildungsunterlagen für unsere Zwecke erlaubte. Interessanterweise konnte ich feststellen, dass die seit kurzem erhältlichen deutschsprachigen Veröffentlichungen wiederum auf ältere englischsprachige Werke referieren. Einigkeit herrscht in der internationalen Fachliteratur darüber, dass die Schutzkleidung nach EN 465 unbedingt einer besonderen Ausbildung bedarf um nicht durch Unkenntnis zu einer potentiellen Gefahr für die Einsatzkräfte zu werden. Die durch die gesteigerte Schutzwirkung bewirkte Steigerung unserer Einsatzmöglichkeiten und Veränderung unserer Einsatztaktik erfordert besondere Kenntnisse. Diese Ansicht wurde und wird durch alle Teilnehmer geteilt. Es gab leider auch den Versuch die Notwendigkeit einer solch spezifischen Ausbildung zu bestreiten. Vertreter dieser Auffassung disqualifizieren sich durch ihre zur Schau gestellte Inkompetenz in vortrefflicher Weise selbst und sind nicht der Mühe einer Replik wert.

Durch mich selbst wurde in enger Zusammenarbeit mit J.Horsmans (BF / Corps Consdorf)  ein Theorielehrgang mit dem Thema taktische Belüftung / Innenangriff erstellt. An mehreren Abenden wurde so, in jeweils zweistündigen Ausbildungseinheiten in Consdorf, Echternach, Berdorf und Osweiler, die Möglichkeit zur Teilnahme geboten. Schwerpunkt waren die Gefahren durch Rauchgase und ihre Bekämpfung durch Abkühlung bzw. Druckbelüftung. Im Laufe dieser theoretischen Ausbildung wurde jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass praktische Ausbildung unerlässlich ist.

Die ehemalige Grundschule in Christnach , ein modernes Gebäude aus den sechziger Jahren, bot den Rahmen für die praktische Ausbildung von Januar bis Mai 2003. Es handelt sich um einen gänzlich unterkellerten Flachbau. Der ebenerdige Teil besteht aus einem grösseren Raum (Klassensaal) einem durch Holz und Glaselemente abgetrennten Nebenraum , Toiletten und Abstellraum. Im Eingangsbereich befindet sich ein Flur von welchen aus eine Treppe in den Kellerbereich führt der mehrere von einem Kellergang aus erreichbare Räume mit je einem bzw. zwei Kellerfenstern. Der Keller ist ausserdem durch eine an der Rückfront gelegene Tür zu begehen. Der eigentliche Brandraum lag in einem ehem.

Duschraum am Ende des Kellerganges. Dieser Raum weist zwei Kellerfenster , eine Tür sowie mehrere Abflüsse auf was sich im weiteren Verlauf als sehr günstig erwies da so das Löschwasser einfach abfliessen konnte. Für unsere Zwecke wurden die Glasfenster aus diesem Raum entfernt und die Fensteröffnungen mit Spanplatten und Sand verschlossen um eine ausreichende Wärmedämmung zu gewährleisten. Die Spanplatten mussten genau wie die Tür mehrfach ersetzt werden da sie der Brandeinwirkung nicht dauerhaft standhielten. Ein Ausbilder befeuerte den Brandraum mittels Holzpaletten während ca. 45 Minuten. Zum Beginn jedes dreiteiligen Ausbildungsdurchgangs wurde ein Pressballen nasses Stroh auf dem Feuer im Brandraum aufgelegt und die Tür wurde offengelassen um die Verbrennung stöchiometrisch zu optimieren und im gesamten Gebäude ein realistisches Umfeld zu schaffen, d.h. Sicht wenig mehr als null.

Die Ausbildungseinheit untergliederte sich in drei Teile.

Zunächst war im ebenerdigen Teil des Gebäudes eine Vemisstensuche unter den besonderen Bedingungen des Atemschutzes bei minimaler Sicht durchzuführen. Nach anfänglichen Versuchen mit einem Dummy beschloss
ich mich selbst als Vermissten ins Spiel zu bringen. Dies erlaubte eine genaue Beobachtung der Teilnehmer sowie ihres Verhaltens und damit natürlich eine konstruktive Beurteilung der Leistung im Nachgang.

Die Verhältnisse erlaubten mir das Tragen einer Filtermaske da ausreichend Sauerstoff vorhanden war und die Schwebstoffe nicht filtergängig waren. Mit Kohlenmonoxyd war aufgrund der Art der Befeuerung bei diesem Ausbildungsteil ebenfalls nicht zu rechnen. In meiner Funktion als Vermisster konnte ich auch den gesamten Funkverkehr mithöhren und gleichzeitig das Geschehen vor Ort wahrnehmen wenn auch teilweise nur mittels Ohren und Ahnung. Das Auffinden des Vermissten wurde durch variablen Einbau von Paletten und Pressballen in den Anmarschweg erschwert. Eine bauliche Struktur die unter normalen Bedingungen keinerlei Schwierigkeiten bereitet verwandelt sich unter den geschaffenen Bedingungen in ein feindliches Umfeld in dem ein Auftrag nur unter grössten Schwierigkeiten und unter Aufbietung aller Kräfte erfüllt werden kann. Neben der eigentlichen Suche bildete vor allem die Bergung eines Bewusstlosen ein Unterfangen welches allen Teilnehmern die Grenzen ihrer Möglichkeiten deutlich aufzeigte. So wurde klar, dass es mit der erfolgreichen Teilnahme an einem AGT-Lehrgang, der Atemschutzstrecke sowie dem Durchlaufen des "caisson-feu" vom taktischen Standpunkt her nicht getan ist und das Bestehen der feuerwehrärztlichen Untersuchung, dem "médico-sapeur", vom physischen Standpunkt her nicht getan ist. Dementsprechend lautet die erste Erkenntnis eines Instruktors, dass nur ein Bruchteil unserer nominalen Atemschutzgeräteträger bei Einsätzen im Grenzbereich wirklich belastbar ist. Dies umsomehr als weder Höhenunterschiede zu überwinden waren noch die psychischen Belastungen eines wirklichen Einsatzes mit vermissten Personen gegeben waren.

Der weitere Verlauf der Ausbildung sah eine Lageerkundung im Kellerbereich vor. Hierbei galt es zuerst die Treppen zum Keller richtig zu überwinden, d.h. rückwärts kriechend und an den Wänden tastend. Im Keller angelangt befanden sich die Teilnehmer in einem Gang von welchem aus mehrere Räume durch Türen betreten werden konnten. Der Auftrag lautet: durch eine Erkundung des Kellergeschosses den Brandherd genau ausfindig zu machen. Es waren alle Türen wie in der theoretischen Ausbildung besprochen aus der Deckung heraus zu öffnen, der Raum zu kontrollieren , die Tür wieder zu schliessen und eine entsprechende Funkmeldung abzusetzen. An der Tür zum Brandraum konnte jeder Teilnehmer hautnah,d.h. mit dem Handrücken der blossen Hand die Stärke der Erwärmung sowie die Temperaturverteilung feststellen. Bei einigen Durchgängen war von dieser Vorgehensweise allerdings abzuraten da die Tür schon deutlich sichtbare Zeichen der Brandeinwirkung aufwies wie z.B. Verformung, Verfärbung und Blasenbildung im oberen Bereich. Bei diesem Teil der Ausbildung waren stets zwei Ausbildungshelfer in unmittelbarer Nähe der Teilnehmer um die Sicherheit zu gewährleisten sowie um Fehler zu korrigieren bzw. Anleitungen zu geben.

Als nächster Punkt der Ausbildung war ein Innenangriff in dem Bereich des Gebäudes durchzuführen in welchem das Brandgeschehen durch die vorherige Erkundung festgestellt wurde. Hierzu nahm ein Doppeltrupp eine Angriffsleitung C über die Kellertreppe vor. Das didaktische Ziel war das taktisch richtige Bekämpfen eines Zimmerbrandes mit hohen Temperaturen, Rauchgasen und stark beschränkter Sicht. Hierzu mussten die Teilnehmer den Stoff der theoretischen Ausbildung in die Praxis umsetzen. Vor dem Brandraum war die Funktionsfähigkeit und das Sprühbild des Hohlstrahlrohres ein letztes mal zu prüfen, der obere Bereich der Tür durch die pulsartige Wassergabe zu kühlen und dann die Tür langsam und möglichst aus gedeckter Stellung zu öffnen. Von nun an konnten die Teilnehmer sich nur noch in der tiefsten Gangart weiterbewegen sofern die nun spürbare Hitze dies überhaupt zuliess. Durch die geöffnete Tür drang von unten her Frischluft ein. Das Feuer loderte auf und am Boden wurde die Sicht besser. Unter der Decke sammelte sich eine sehr dichte Rauchschicht die massiv zu der wenig geöffneten Tür austrat. Nun setzte die Rauchgaskühlung ein und mittels der zuvor trainierten Pulstechnik wurden die heissen Gase an der Decke abgekühlt.Sehr schnell wurde der Effekt sichtbar und fühlbar da die Temperatur sank und die Sicht viel besser wurde. Es wurde auch die Erfahrung gemacht, dass der Wasserdampf wie vorher gelehrt durch die Schutzkleidung dringt und sich sehr unangenehm bemerkbar macht.. Verschiedentlich wurden auch Ausbilder oder Teilnehmer zum Rückzug gezwungen da ein weiterer Aufenthalt im Brandraum zu grosse Risiken barg. In diesem Fall wurde die weitere Rauchgaskühlung vom Türbereich aus durchgeführt bis erneutes Vordringen möglich war. Die ausserordentliche Wichtigkeit einer vollständigen und richtig angelegten Schutzausrüstung wurde allen Beteiligten unter dem Eindruck der Strahlungshitze schon im Türbereich verdeutlicht. Aus Sicherheitsgründen lag stets eine zweite einsatzbereite Angriffsleitung C mit einem Ausbilder unmittelbar am Brandbereich. Zwei Ausbilder begleiteten den Angriffstrupp der sich aus zwei bis vier Teilnehmern zusammensetzte. Jeder Telnehmer der in den Brandraum vordrang wurde durch einen Ausbilder begleitet um Anleitungen zum richtigen taktischen Verhalten zu geben sowie um psychisch bedingtem Fehlverhalten vorzubeugen. Insbesondere die Wirkung von Wasserdampf auf offenes Feuer in einem geschlossenen Raum konnte eindrucksvoll vorgeführt werden. Ein Wasserpuls wurde unmittelbar in den Bereich über den Flammen gegeben.

Der entstehende Dampf konnte nicht nach oben entweichen und drückte von oben die Flammen regelrecht nieder.Im Verlauf dieses Teils der Ausbildung wurde auch die Wichtigkeit von Feuerwehrüberhosen durch praktische Erfahrung belegt. Diese dienen nicht in erster Linie dem Schutz vor Hitze sondern verhindern das Vordringen von Nässe in die Nähe der Haut. Bei den Löscharbeiten unter solch schwierigen Bedingungen ist immer damit zu rechnen, dass die Einsatzkräfte in Kontakt mit Löschwasser geraten. Werden diese Stellen nun der Brandhitze ausgesetzt so verdampft dieses Wasser und führt zu Verbrühungen der betroffenen Körperstellen. Insbesondere beim knieenden oder kriechenden Vorgehen ist eine Durchnässung fast unvermeidlich. Daher sollten diese Schutzhosen,am besten mit Kniepolstern, in ausreichender Zahl vorhanden sein. Es hat sich jedoch als illusorisch erwiesen diese Schutzhosen von aus dem Einsatz kommenden Kräften an sich ausrüstende frische Kräfte weiterzureichen da dies mit einem Zeitverlust verbunden ist und weil die Hosen dann sehr oft schon von aussen durch Löschwasser in von innen durch Schweiss durchnässt sind. Dies ist nicht unmittelbar die Erkenntnis eines Instruktors sondern eher die Erkenntnis der Betroffenen da ich zu den Glücklichen zähle deren persönliche Ausrüstung vollständig ist. Aber eine wirkliche Erkenntnis eines Instruktors ist, dass die Auswirkungen von Löschwasser und Körperschweiss den sicheren Einsatz von Atemschutzgeräteträgern eigentlich nur einmal zulassen. Nach einem solchen Einsatz sollten diese Kräfte durch frische, "trockene" Kräfte ersetzt werden.

Als Abschluss jedes Ausbildungstages wurde das gesamte Gebäude mittels der theoretisch gelehrten Methoden der natürlichen und der Druckbelüftung entraucht. Eine weitere Erkenntnis des Instruktors ist die ,dass die zur Verfügung stehenden Geräte schon relativ früh an ihre system bedingten Grenzen kommen. Bei der zunächst eingeleiteten natürlichen Belüftung war das Vorhandensein von Fenstern im Dachbereich des Gebäudes ein grosser Vorteil. Die umso mehr, als diese von unten durch eine Kurbelspindel zu bedienen waren. Die natürliche Entrauchung funktionierte zufriedenstellend. Beim zusätzlichen Einsatz der Lüfter konnte der positive Effekt von Abzugklappen im Dachbereich unterstrichen werden. Abweichend von der Theorie wurde in der Praxis nachgewiesen, dass der Einsatz von Drucklüftern in einem Hausgang sinnvoll ist. Unabdingbare Voraussetzung ist jedoch die Sicherstellung von ausreichender Frischluftzufuhr auf der Saugseite durch einen Lüfter ausserhalb des Gebäudes oder ausreichende Zuluftöffnungen im unmittelbaren Bereich des inneren Lüfters. Vor dem Inbetriebsetzen des Lüfters ist in diesem Fall ganz besonders darauf zu achten, dass geeignete und ausreichende Abluftöffnungen vorhanden sind bzw. geschaffen wurden. Ist dies nicht der Fall so kann es durch Rückstau in den Bereich des Innenlüfters dazu kommen, dass dieser Brandrauch den er aus dem Gebäude drücken soll ansaugt und so u.U. ein explosibles Gasgemisch erzeugt.

In Christnach wurden die Abdeckungen der Kellerfenster des Brandraumes entfernt, die Brandraumtür wurde geöffnet und der Drucklüfter in Betrieb gesetzt. Der Unterschied zum Vorgehen ohne Belüftung war eindeutig. Es gab keine heissen Gase mehr.und die Sicht war normal.So konnte dieser Brand quasi wie im Freien gelöscht werden. Vorsicht war geboten beim Entfernen der Abdeckung da hier zunächst sehr heisse Rauchgase aus dem Deckenbereich des im Keller gelegenen Brandraumes austraten.

Abschliessend möchte ich als zentrale Erkenntnis eines Instruktors feststellen, dass ich mit meiner Einschätzung der Motivation unserer Corps-Mitglieder durchaus richtig lag. Es gibt eine sehr grosse Bereitschaft zur Mitarbeit und auch zu selbstständigem Engagement. Anders ist nicht zu erklären ,dass Erwachsene bereit sind stundenlang im Freien auszuharren, schwere Geräte zu schleppen, schmutzige, anstrengende und teilweise gefahrvolle Arbeit zu tun und daraus auch noch eine Befriedigung zu gewinnen. Die gewonnene Befriedigung beruht auf der Erkenntnis, dass man nun als Einsatzkraft sicherer und wirkungsvoller geworden ist.